Geschichte der Hirschbar: Das Interview


Einleitung: Dieses Interview mit Natascha Hetke zur Geschichte der Hirschbar entstand 1999. Erzählt werden Ereignisse von 1993 bis 1999. Wer die Bar 25 Geschichte kennt, wird viele Elemente wiedererkennen, nur dass die Hirschbar 10 Jahre früher da war. Location Jannowitzbrücke, Wohn- und Interessengemeinschaft von Künstlern und Musikern, überrascht vom eigenen Erfolg, Umgang mit Öffentlichkeit und Türpolitik, Ruin und Wiederaufbau: „It’s all just a little bit of history repeating“ …

Die Geschichte der Hirschbar beginnt, wo viele gute Geschichten der Berliner Clubszene anfangen, in der Zeit kurz nach der Wende und dem räumlichen wie künstlerischen Freiraum, der dort entstanden war. Natascha, Künstlerin und Partyorganisatorin aus Berlin, im Interview.

Hirschgeweih

Q: Natascha, wo und wie ist die Hirschbar entstanden?

1993/94 haben wir das erste Mal damit angefangen, kleine Parties zu machen, in einer Fabriketage, die uns als Wohnung, Atelier und Proberaum gedient hat. Das war einmal in der Woche, mit den Musikern, die auch im Proberaum gearbeitet haben. In Verbindung mit unserer künstlerischen Arbeit ist die Deko für die Parties entstanden.

Die Musik, die damals gespielt wurde, war Rock, Blues und Independent. Das war finanziell nicht so der große Renner, aber es hat Spaß gemacht. Es war eine sehr familiäre Atmosphäre, wie ein Wohnzimmer, in dem man Leute getroffen hat, die im selben oder ähnlichen Bereich gearbeitet haben wie du. Es gab einen Austausch, über den neue Projekte entstanden sind. Und da haben wir gesagt, ok, das machen wir nächsten Winter wieder.

Im Winter darauf war unsere finanzielle Situation so schlimm, daß wir das Ganze ein bißchen straffer organisieren mußten. Da haben wir zum Beispiel einen richtigen Tresen gebaut, statt unseres Küchentischs als Bar. Und als wir dann so drei Monate am Wursteln waren, zogen oben im Haus die Leute vom WTF ein. Wir hatten erfahren, daß das WTF am selben Tag wie wir eine Party angesetzt hatte. Da sind wir hochgegangen, haben uns freundlich vorgestellt, und haben vorgeschlagen, ob wir die Party nicht zusammen machen können, weil es doch Scheiße wäre, in einem Haus gegeneinander zu arbeiten. Wir kommen alle ursprünglich aus der Hausbesetzerszene, und da hat man ja eh eine etwas andere Einstellung zu Nachbarn. Die fanden das auch ganz prima, und dann haben wir uns darauf geeinigt, bei uns ist Chillout, und bei denen ist der Dancefloor.

Der Abend endete damit, daß die DJ’s von oben herunterkamen, und fragten, ob sie nicht lieber bei uns auflegen könnten, und die Gäste von oben auf einmal bei uns rumhingen. Wir hatten das zuerst gar nicht so registriert. Dann hat es nicht mehr lange gedauert, bis Scout bei uns auf der Matte stand, und sagte: „Kinder, es wird Zeit, daß hier mal ein bißchen Techno gespielt wird.“, damit auch mal ein bißchen Kohle in die Bude kommt. Scout, Audio-Sex, Kristalis und später noch Gamma-Ray haben uns dann quasi als Location etabliert, weil sie schon ein festes Publikum hatten.

In diesem Winter 1994/95 lief bei uns hauptsächlich Acid und Hardtrance. Dann, im Frühling schleppte ein guter Freund von uns einen jungen Mann an, der grade aus Indien kam und nun in Berlin einen Ort suchte, wo er auflegen kann. Wir haben gesagt: „Ja, klar, leg‘ mal Deine Kassette ein, laß uns das mal anhören, was Du mitgebracht hast“ – und das war Goa-Trance. Wir hatten diesen Sound bis dato nie gehört, es gab nur eine ganz ganz kleine Szene in Berlin, da kannte jeder jeden. Er legt also die Kassette ein, und wir haben gesagt: „Das isses, das wollen wir auch in Zukunft spielen.“

Q: Wer war dieser DJ?

Das war Dominique Sangeet. So hat sich der Hirsch-Sound entwickelt, als Mischung aus Trance, Hardtrance, Acid und Techno.

Q: Ab wann hieß es eigentlich Hirschbar?

Von Anfang an. Ich hatte mich für den Namen und das Logo entschieden, der ganze Style in und um den Laden herum ist ursprünglich auf meinem Mist gewachsen.

Q: Es ist interessant, daß es über die ganzen Jahre nie einen Club gab, der den Goa-Sound so vertreten hat wie ihr. In Berlin gab es für Goa eigentlich immer nur eine Adresse, die Hirschbar.

Wir hatten diese Nische nicht aus marktstrategischen Gesichtspunkten ausgewählt, wir hatten den Sound gehört und uns in den Sound verliebt. Daß wir da eine neue Szene etabliert haben und quasi eine neue Technosparte in der Stadt ins Leben gerufen haben, war uns damals überhaupt nicht bewußt. Die Ausmaße, die es letztendlich angenommen hat, waren nicht beabsichtigt, da haben wir staunend davor gestanden.

Q: Die Parties damals fanden ziemlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, ihr hattet zwar keine Gesichtskontrollen, aber so ein „members only“-Ding mit Clubkarten. Ihr hättet doch auch sagen können, wir haben hier einen neuen Sound, den alle interessierten Leute hören können.

Nee, wir wollten einfach unseren „Family-Salon“ behalten. Es war ja nicht nur ein Club, wir haben da gewohnt und unsere Ateliers gehabt, es war alles offen. Deshalb haben wir uns nur über Mundpropaganda verbreitet. Es war gar nicht beabsichtigt, daß es richtig öffentlich wird.

Später konnten wir vor der Entwicklung nicht mehr die Augen zumachen. Wenn plötzlich 500 Leute vor der Tür stehen und du weißt nicht, woher die kommen, spielt natürlich auch das Ego eine Rolle. Einerseits habe ich die Möglichkeit gesehen, meine Bilder zu verkaufen, andererseits war es auch angenehm, endlich die Miete pünktlich zahlen zu können.

Das Auswahlverfahren lief einfach so, daß wir nette Leute haben wollten. Wir hatten keinen Bock auf Prolls, wir hatten auch keinen Bock auf Leute, die, wenn sie Eintrittsgeld zahlen, der Meinung sind, sie können sich alles leisten und alles nehmen. Wir haben damit viele Probleme gehabt. Es ist viel geklaut und kaputt gemacht worden, weil die Leute nicht kapiert haben, daß sie sich in einem privaten Raum befinden. Wenn viel geklaut und kaputtgemacht wurde, hat sich parallel dazu auch die Türpolitik geändert. Das war nichts, was wir wollten. Wir wollten nicht elitär sein. Wir haben damals nur versucht, uns zu schützen. Dazu kam auch noch, daß die Parties illegal waren und daß wir ein sehr hohes Risiko zu tragen hatten. Ein Rausschmiß hätte für uns bedeutet, kein Atelier, kein Proberaum, keine Werkstatt, kein Zuhause mehr.

Q: Aber irgendwann musstet ihr von der Holzmarktstraße wegziehen.

Im Gebäude an der Jannowitzbrücke war im Sommer 1996 der Punkt erreicht, an dem wir soviel Ärger bekommen hatten, daß wir nicht mehr weitermachen konnten. Wir hatten zum Beispiel permanenten Streß mit der Presse, weil wir nicht in die Zeitung wollten, die aber über uns geschrieben haben, was zur Folge hatte, daß das Gewerbeamt plötzlich in der Tür stand.

Dazu kam, daß sich das WTF nicht an die Spielregeln gehalten hat. Ständig sind die Bullen eingerückt, wegen zu hoher Lautstärke zum Beispiel. Das WTF hat oben die Fenster aufgehabt, die Bullen sind bei uns rein und haben die Anlage konfisziert. Das ging ein halbes Jahr so, und dann hatten wir so viel Scheiße am Hals, das wir einfach mattgelegt waren. Wir waren gezwungen, uns Wohnungen zu suchen, und haben auf dem Güterbahnhof Revaler Straße/Warschauer Straße unser neues Atelier/Werkstatt/Proberaum eingerichtet.

Dort haben wir viel Pech gehabt. Zuerst hatten wir alles anders aufgezogen. Wir hatten einen Raum für die Parties, wo man nix kaputtmachen oder klauen kann, und wo eine Stahltür vor der Werkstatt ist. Das war leider so. Es mußte auch eine harte Türpolitik gemacht werden, weil es immer öfter Idioten gab, die jemandem auf einmal ein Messer an den Hals gehalten haben und solche bescheuerten Sachen. Dann ging der große Dealerkrieg los, wo dann irgendwelche Mädels auf einmal bewußtlos auf dem Klo lagen, weil sie irgendwelche Scheiße verkauft bekommen haben. Da muß man drauf reagieren.

Wir haben einen großen Teil unseres Stammpublikums auf der Revaler verloren, weil sie die Veränderung nicht verstehen konnten.

Tja, dann waren wir da drei Monate drin, und dann haben sie uns den Laden angezündet. Bevor sie ihn angezündet haben, haben sie noch alles rausgeholt. Die Werkstatt leergeräumt, den Proberaum leergeräumt, die Lichttechnik mitgenommen, sogar das Leergut geklaut. Dann haben sie den Rest angezündet. Danach haben sie das Atelier aufgebrochen und alles kaputtgemacht, Bilder, die ich im Laufe von 10 Jahren gemalt habe, sind in einer Nacht zu Klump geschlagen worden.

Danach war alles aus. Wir hatten keine Kohle, alle Geräte waren weg, wir waren psychisch demoralisiert und innerhalb der Gruppe total zerstritten. Dann war ein Jahr Pause.

Q: Wart Ihr irgendwie versichert?

Nee.

Q: Das darf man sich gar nicht vorstellen.

Es war Horror. Wir sind nie dahintergekommen, wer es war, keine Ahnung. Diese Sache war der Grund, warum wir nie wieder eine eigene Location hatten.

Q: Aber ihr habt weitergemacht.

Ja. Ich habe bei aller Kunst- und Kulturarbeit, die ich gemacht habe, immer darauf geachtet, nicht nur selbst produzieren, sondern Formen zu schaffen, mit denen das Geschaffene nach außen präsentiert werden kann, weil ich das für sehr wichtig halte. Und im Laufe der Jahre hängt da auch mein Herz dran. Es ist unglaublich einfach, sich hinzustellen, und zu sagen, „früher war das in Berlin viel schöner, da war es lustiger, es gab mehr zu gucken, und die Musik war besser“ – aber man muß ja auch was für tun. Genauso Scheiße finde ich die Einstellung von Künstlern, die sich in ihren Elfenbeinturm zurückziehen und nur für sich produzieren und sich ihren eigenen Arsch streicheln, aber für die Grundsituation nichts tut. Deswegen habe ich weitergemacht.

Im Frühjahr 1998 haben wir die Hirschbar zurück ins Leben gerufen, im Pfefferberg Subground, und ich habe mich dort sehr für ein Zusammenwirken von DJs und Musikern eingesetzt. Seitdem gibt es die Live-Acts in der Hirschbar.

Die Parties haben sich zu dieser Zeit verändert. Man kannte immer weniger Leute, so hat sich auch die Grundatmosphäre verändert. Es gab mehr Abchecken der Leute untereinander, und auch diese Anonymität, die in der Clubszene häufig entsteht. Die Leute sind deutlich jünger geworden, es gab mehr Leute aus dem Umland, die eine Fahrgemeinschaft organisiert haben, um zu Parties zu fahren. Es gab mehr kommerziell orientierte Leute.

Q: Hat sich das auch auf euren Stil ausgewirkt?

Nein, da bin ich stur, da sage ich, friß oder stirb. Nur die Ausstattung haben wir verändert, es gab keine kleine Sachen mehr, die man leicht in die Tasche stecken kann, der Rest wurde „abwaschbar“ gestaltet.

Q: Die Ausstattung spielt für Dich eine sehr wichtige Rolle. Im Artikel über Electric Rodeo hatte ich die Party im Subground beschrieben, wo über der Tanzfläche ein Tarnnetz mit unzähligen Margaritenblüten gespannt war. Das ist doch unglaublich aufwendig, besonders, weil ihr euch jedesmal eine andere Deko ausdenkt und gestaltet.

Ja, acht Stunden auf der Leiter stehen. Ich habe von dieser Party auch nicht viel gehabt. Nach zwei Stunden bin ich ins Bett gegangen, weil ich völlig fertig war.

Für mich ist jede Party etwas Eigenständiges, wir haben kein Baukastenprinzip, aus dem wir uns bedienen. Wir arbeiten auch nur mit Leuten zusammen, die wir persönlich gerne mögen, was uns intern angeht, ist es „unsere“ Party. Das ist vielleicht auch ein Unterschied zu anderen Parties, wo der Türsteher schon muffig ist. Dieser erste Eindruck begleitet Dich dann durch den ganzen Laden. Ich finde, man hat es verdient, daß man mal angelächelt wird, und daß man sich nicht entschuldigen muß, wenn man ein Bier trinken will. Ich glaube, daß viele Leute das auch zu schätzen wissen, sonst hätten wir ja nicht unser Publikum.

Q: Rechnet sich der Aufwand denn finanziell?

Ich sage mal so, wenn wir die Parties minimalistisch gestalten würden, dann könnten wir von den Parties gut leben. Dadurch, daß wir diesen hohen Aufwand betreiben, haben wir immer wieder ein sehr hohes Risiko.

Q: Dein neues Projekt heißt „Electric Rodeo“. Entschuldige die Frage, aber wie kommt man dazu, Electro und Breakbeat mit Country und Western zu verbinden?

Das ist doch eigentlich ganz klar, oder (lacht)? Ein guter Freund von mir, DJ Spit, hat bei Evosonic Radio eine Sendung gemacht, und die hieß „Breakbeat Rodeo“. So gesehen geht diese Mischung auf sein Konto. Ich habe dann nicht mehr oder weniger gemacht, als das zu einem Konzept zu formen. Die Livemusiker, die dort auftreten, sind alles Leute, die damals schon in unserer Fabriketage mit dabei waren. „Bruno Adams and the lost Weekenders“ zum Beispiel. Das sind alles alte, liebe Freunde.

Die Barriere zwischen Musiker und DJ ist immer noch unglaublich groß. Das liegt zum einen daran, daß Anfang der 90iger, als hier alles anfing, eher die Bands präsent waren. Dann kam Techno, und die Bands wurden durch DJs abgelöst, es gab keine Auftrittsmöglichkeiten mehr für Bands, die DJs haben horrende Honorare verdient, und die Bands haben Müll geschippt, um zu überleben. Deshalb haben viele Musiker Vorbehalte gegenüber DJs. Es ist nicht so einfach, das aus den Köpfen rauszubekommen. Daher auch mein Anliegen bei der Rodeogeschichte, weil ich einfach sehe, daß die Mischung aus beiden etwas ganz tolles ergeben kann.

Q: Ist Electric Rodeo von Deinem Standpunkt aus erfolgreich?

Inhaltlich ja. Finanziell ein totales Desaster. Leider sind wir gezwungen, uns eine andere Location für die Parties zu suchen. Dazu kommt, daß die Jungs von der Band den ganzen April in Amerika sind, für Plattenaufnahmen. Und jetzt kommt der Sommer, da brauchen wir in Berlin keine Indoor-Veranstaltungen aufzubauen. Das heißt, wir werden frühestens im September weitermachen mit „Electric Rodeo“. Im Winter ist dann eine Tour durch Deutschland geplant. Weißt Du, so wie das früher bei den Rodeos auch war. Das musikalische Konzept wird noch durch einen elektronischen Live-Act erweitert.

Letztendlich steckt das Projekt noch in den Kinderschuhen, wir sind dabei herauszufinden, was man machen kann, was inhaltlich möglich ist und wie man es am besten realisieren kann.

Natascha, vielen Dank für das Gespräch.

Nachtrag: Auch der Tagesspiegel berichtete 1999 über die Hirschbar mit einem launigen Artikel.

2. Nachtrag: Flyer und einen persönlichen Erfahrungsbericht über die Hirschbar 1998 gibt es hier.

4 Antworten zu “Geschichte der Hirschbar: Das Interview

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